Anstatt mit einem freundlichen ‚Frohen Ostern‘ schön in den Tag zu starten, wurde ich beim Öffnen meiner Zimmertür daran erinnert, dass in Bolivien die Feiertage ein bisschen anders gehandhabt werden. Noch halb verschlafen stand ich auf und öffnete die Tür um die Sonnenstrahlen in mein Zimmer zu lassen. Nichts ahnend offenbarte sich dann ein ziemlich ekliger und wachrüttelnder, aber mittlerweile schon bekannter Anblick in den Hof: Auf der Motorhaube eines alten Landrovers blickte ich in ein aufgeschnittenes Schaf. Na, das ist doch mal ein echt schöner Start in den Ostersonntag!
Zur bolivianischen Tradition gehört es an diesem Tag ein Schaf an Jesus und ‚Pachamama‘ (Mutter Erde) zu opfern, um die ‚Semana Santa‘ (Heilige Woche bzw. Karwoche) abzuschließen. Eigentlich machen das nur kaum noch Familien, aber meine offensichtlich schon. Als sie dann merkten, dass ich wach war, hatten sie es wenigstens mit einer Wanne abgedeckt, so dass mir noch ein Blick erspart blieb.
Die Semana Santa wird ab dem Domingo de los Ramos (Palmsonntag) jeden Tag geachtet und zelebriert. Am Nachmittag kamen mir zahlreiche Menschen mit geflochtenen Palmenblätter in der Hand entgegen, die sich ihren Weg durch die Fülle der Menschenmassen bahnten, um in der Kirche mit einer Messe den Beginn der Semana Santa zu zelebrieren. Schon Wochen im Voraus hatte meine Gastfamilie zu mir gemeint, dass das die perfekte Woche für mich als Vegetarierin sei. Denn traditionsgemäß wird mit dem Gedanken, entweder den Körper Christus‘ oder einen Frosch zu essen in dieser Woche kein Fleisch gegessen – so kommt auch mal eine Vegetarierin auf ihre Kosten! Hinter dem Zusammenhang zwischen Körper Christus‘ und dem Fleisch eines Frosches bin ich noch nicht gekommen, und finde dieses ‚entweder oder‘ mit diesen Optionen sehr merkwürdig.
Dennoch hielt sich meine Gastfamilie nicht gerade sehr diszipliniert daran, wodurch alle ‚nur‘ zwei Tage schweren Herzens vegetarisch essen ‚mussten‘. Leider ist allein das schon für eine bolivianische Großfamilie bei dem eigentlichen enormen Fleischkonsum eine echte Leistung! Denn normalerweise darf in keinem Gericht Fleisch oder Huhn fehlen. Am besten die Kombination aus Fleisch und Fleisch und Fleisch und Huhn trifft besonders ihren Geschmack. Somit stellt diese Woche für die Bolivianer, die diesen Gebrauch durchziehen, eine echte Herausforderung dar.
Nicht nur durch die Essensumstellung war die Semana Santa täglich spürbar, sondern auch durch zahlreiche Paraden des Militärs oder von Schulen und Universitäten im Stadtzentrum. Von Tag zu Tag wurde deutlicher, wie religiös und gläubig das bolivianische Volk ist.
Spätestens durch den ‚Kirchenmarathon‘, den sie am ‚Jueves Santos‘ (Gründonnerstag) hinlegen. Denn in der Nacht des ‚Jueves Santos‘ ist es Tradition 12 Kirchen zu besuchen, um an Messen teilzunehmen, zu beten und zu singen. Mit diesem Rundgang verfolgen sie das Motiv der 12 Apostel. Das gleiche Motiv taucht nochmals zwischen Freitag und Samstag auf. Denn an diesen Tagen essen sie 12 verschiedene Gerichte. Dies glich für mich einem wirklichen Osterbrunch, der wenigstens, zur meiner Freude, auch vegetarisch war!
Anstatt diese ganzen Gerichte jedoch schön über die Tage zu verteilen, wurden mir zum Beispiel zum Mittagsessen drei Platos (Teller/Gerichte) aufgetischt. Zum Glück widerstand meine Gastmutter dem Drang meinen Teller wie normalerweise komplett vollzuladen, so dass man nichts mehr von dem Teller sieht. So kam ich in diesen zwei Tagen in den Genuss vieler leckeren traditionellen bolivianischen Gerichten und es wurde mir gezeigt, dass die bolivianische Küche auch ganz lecker sein kann. Wenn sie wollen, dann können sie es auch!
Mit Aji de averja (Erbsenaji/ scharfer Eintopf) , Aji de lisa (Kartoffelaji), Yuca con queso, choclo (Maiskolben), Arroz con leche (Milchreis), Huminta (Maiskuchen mit Käse in Maisblättern gebacken) hielten wir uns jedoch ‚nur‘ an die Hälfte des Osterbrunch. Für mich aber auch verständlich, denn zum einen wäre es sehr viel Arbeit 12 Gerichte für jeweils 14 Personen vorzubereiten. Zum anderen natürlich auch Teuer, da die Gerichte von Salzigen bis Süßen reichen und man immer unterschiedliche Zutaten benötigt. Schon am Donnerstag fingen wir an so viel wie möglich vorzubereiten und am Freitag verbrachte ich meinen Vormittag damit, die Maiskörner vom Kolben zu lösen und diese dann erstmal zu mahlen, um Huminta vorzubereiten – Trainingsprogramm für die Arme wurde somit erstmal erfüllt.
Trotz der Arbeit habe ich die Tage sehr genossen, denn von morgens bis abends war es ein sehr schönes und harmonisches Beisammensein aller Familienmitglieder.
Außerdem war ich einerseits auch froh, dass sie sich nicht ganz so strikt an alle Traditionen und Gebräuche halten. So musste ich am Freitagmorgen zum Beispiel nicht um 5 Uhr aufstehen, um auf den ‚Cerro Churruquella‘ in Sucre zu wandern. Am Freitagmorgen verlassen alle Traditionsgetreue und stark Gläubige schon vor dem Sonnenaufgang mit ihrer besten Kleidung das Haus, um den Berg zu besteigen. Jede Stadt in Bolivien hat solch einen Berg, auf dessen Spitze man eine Jesusstatue oder anderes Repräsentatives findet. Außerdem sind die Wege in 14 Stationen eingeteilt und stellen somit den Leidensweg Jesus dar. Im Sonnenaufgang, mit dem Gedanken den neuen Tag und die neue kommende Zeit des Lebens zu beginnen, machen sich die Leute auf den Weg, den Leidensweg Jesus ‚nachzustellen‘. Dabei haben sie oft ihre beste Gemüse – oder Obsternte, sowie auch Getränke im Gepäck, um sie am Fuße des Berges sowohl für Jesus, als auch für Pachamama als Opfergabe abzulegen. Während des Anstiegs erleben sie die Geschichte intensiv mit, machen bei jeder Station einen Halt und werfen einen Stein, um ihre Sünden ‚loszuwerfen‘. So dauert es zwei Stunden, bis sich alle Menschen auf dem Plateau des Berges versammeln und sich treffen, um dort zu singen, zu feiern und natürlich zu trinken.
Mit diesem Gebrauch fühlen sie die Geschichte nach, drücken ihren tiefen Glauben und ihre Verbindung zu Christus aus. Des Weiteren wollen sie sich damit für ihr Leben, für ihr Glück und für ihre Gesundheit bei Jesus und bei Pachamama bedanken. Nicht nur durch diesen Akt, sondern auch durch die zahlreichen Messen und Paraden im Laufe der Semana Santa.
Für mich es im Laufe der Woche interessant und beeindruckend, mit welchen Gebräuchen sie ihrem Glauben Ausdruck verleihen und dabei mit Herz dahinterstehen. Dennoch ist es offensichtlich, dass diese Traditionen rund um Ostern Stück für Stück verloren gehen. Während früher auf dem Land mehrmals am Tag Messen noch in der indigenen Sprache Quechua gehalten wurde und sich alle Einwohner daran beteiligten, gibt es im Zentrum längst nicht mehr so viele Messen und auch nicht mehr in der indigenen Sprache. Von Jahr zu Jahr scheint mehr in Vergessenheit zu geraten, so wie auch der ‚richtige Sinn‘ für diese Feste. So hat mir meine Gastfamilie erzählt, dass zwar auch viele Jugendliche auch auf den Cerro Churuquella wandern, jedoch auf direktem Weg und diese Gelegenheit eines Feiertages zum Trinken ausnutzen.
Auch wenn ich mich persönlich nicht sehr mit dem religiösen Teil identifizieren kann, finde ich es sehr schade, dass ein Teil der bolivianischen Kultur wegzufallen scheint. Somit kann man nur hoffen, dass vielleicht noch eine Generation folgt, die alle Traditionen wieder aufnimmt und die bolivianische Kultur in all ihrer Fülle repräsentiert.
Ostern auf diese Art und Weise zu feiern, und mit solch einer Intensivität und Vielschichtigkeit, habe ich bisher noch nie erlebt. So wusste ich auch schon im Voraus, dass mich am Sonntagmorgen nicht wie gewöhnlich eine aufregende Suche nach versteckten Süßigkeiten oder Ostereiern im Garten erwartet. Fast ungläubig war mein Blick, als mir meine Gastfamilie erzählte, dass so gut wie keine bolivianische Familie diesen Gebrauch hat. Fasziniert waren sie widerum, als ich ihnen Schokoladeneier oder in Form eines Osterhasen zeigte. Auch wurde ich gefragt, was es mit dem Hasen auf sich hat. Denn die Figur des Osterhasens, die durch Sucre hoppelt und Süßgkeiten oder Ostereier für die Kinder versteckt, ist nicht verbreitet.
Da sie Interesse an meinen Erfahrungen mit Ostern zeigten und ich mindestens noch 5kg Schokolade in Form von Ostereiern oder Hasen hatte, teilte ich, so wie auch sie mit mir, meine ‚Gebräuche‘ der Osterzeit. So stand ich am Sonntagmorgen früh auf, schlenderte im Haus und Hof umher, um die kleinen Ostergeschenke zu verstecken. Mit Aufregung und Freude suchten sie sofort überall nach den versteckten Süßigkeiten, rannten die Treppen hoch und runter und zeigten am Ende voller Stolz und mit einem Lächeln ihre Ausbeute. Auch meine Gastoma machte sofort den Herd aus, um noch etwas vor den anderen zu ergattern.
Für mich war es komisch, dass alle aus der Familie das zum ersten Mal gemacht haben. Für sie war es wiederum auch komisch, nichts wissend wo, zu suchen und nach versteckten Süßigkeiten Ausschau zu halten.
Nach dem ‚Traditionsaustausch‘ und der Aufregung, ging es wieder an kochen. Denn das was ich am Morgen leider erblickt habe, musste verarbeitet werden, so dass sie ihren Fleischkonsum der letzten zwei Tage wieder aufholen. 😀
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Ich habe leider keine Bilder von den Paraden oder dem Aufstieg auf den Berg ‚Churuquella‘, da ich nie anwesend war. Zu den Paraden hatte ich eigentlich vor zu gehen, aber keiner wusste genau wann sie stattfinden und sagte mir immer einen anderen Tag.
Dennoch hoffe ich einen guten Einblick in neue bolivianische Traditionen zu geben.
Frohe Ostern!